Internationale Jugendbegegnung 2018/19
Auf der Diözesankonferenz 2017 wurde der Grundstein für unsere erste internationale Jugendbegegnung (IJB) gelegt. Der Sachausschuss zur Organisation der IJB hat das Partnerland festgelegt, den ersten Kontakt zu Xavéri, unserer Partnergruppe in Ruanda, geknüpft und ein kleines Team war an Ostern 2018 vorbereitend vor Ort. Auf dieser Seite könnt ihr von unserer Partnergruppe, unseren Begegnungen lesen sowie weiter unten über Themen, die uns in der Zeit beschäftigt haben.
Inhaltsverzeichnis













Verlauf der IJB
Vorbereitung und Infos
Zu unserer Reisegruppe gehören Anna, Clara, Johannes, Jonas, Lara, Lea, Paul, Philipp, Pia, Saskia und Tabea. Am Vorbereitungswochenende im Mai haben wir uns alle kennen gelernt und schon einmal inhaltlich auf die Themen der Begegnung eingestellt. Da ging es neben den Erwartungen an die Begegnung, einer Einheit zum Land Ruanda an sich und der Vorbereitung der Fahrt zum Beispiel um die Sustainable Development Goals (SDGs). Das vierte der 17 SDGs ("höherwertige Bildung") ist das Thema der Internationalen Jugendbegegnung 2018/19. Eng mit Begegnungen auf dem Afrikanischen Kontinent verknüpft sind die Themen Rassismus und Critical Whiteness (s.u.). Das war ein weiterer Baustein unseres Vorbereitungswochenendes.
Erste Begegnung in Ruanda
Während wir in Ruanda waren, haben wir täglich Blogeinträge geschrieben. Daraus haben wir einen Reisebericht geschrieben, der in der Zeitung des BDKJ Mainz erschienen ist (*):
Zwischenphase
... mit einem inhaltlichen Wochenende der deutschen Teilnehmenden zur Nachbereitung der Reise.
... mit einem Wochenende der ruandischen Teilnehmenden zur Vorbereitung ihres Besuchs in Deutschland.
... mit viel VISA Klärungsbedarf und Programmplanung für die zweite Begegnung.
... mit vielen Treffen, Telefonaten, Mails und Skype Gesprächen im jeweils nationalen aber auch bi-nationalen Leitungsteam.
... mit einem Zwischenbericht für den Geldgeber des Projekts, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Zweite Begegnung in Deutschland
Seit dem 22. März sind die Alain, Aline, Anastasie, Cynthia, Didace, Emmanuela, Fiston, Jerome, Peter und Soline bei uns zu Besuch. Insgesamt gut zwei Wochen verbringen wir zusammen mit der deutschen Gruppe der Jugendbegegnung. Das erste Wochenende waren wir in Frankfurt unterwegs, auf dem Wochenmarkt, am Main und an der Uni für eine Wilkommenseinheit. Wir sind die 312 Stufen der Treppe zur Aussichtsplattform auf dem Frankfurter Dom hoch geklettert und in einer der typischen Frankfurter Apfelweinkneipen gewesen.
Seit Sonntag sind wir mit der ganzen Gruppe in Berlin und starten hier unseren inhaltlichen Teil.
Nachlese und Abschlussbericht
Highlights waren in Ruanda das gemeinschaftliche Arbeiten im Wohnviertel, das Umuganda heißt und einmal im Monat samstags in ganz Ruanda stattfindet, und ein Seminar mit Diskussion zum Thema „Peace and Reconcilliation“ (Frieden und Wiedervereinigung). In Deutschland fanden der Besuch des Bundestages zusammen mit dem Treffen eines Abgeordneten in Berlin sowie ein gemeinsamer Kochabend besonders Anklang. Wichtig für die Stimmung und gute Laune waren immer wieder auflockernde gemeinsame Spiele in der ganzen Runde, unter anderem das „Stein-Spiel“ oder das „Kissenrennen“.
Herausfordernd fanden unsere Teilnehmenden unter anderem die Sprachbarriere – die gemeinsame Sprache der Gruppe war Englisch – sowie unterschiedliche Arbeitsweisen hinsichtlich von Organisation, Zeitplanung und Gestaltung von Seminaren und Workshops. Es war zum Teil schwierig die Bedürfnisse der einzelnen Gruppenmitglieder „unter einen Hut zu bekommen“, wodurch es manchmal zu gruppendynamisch zu schwierigen Situationen kam. Auch der Umgang mit Vorurteilen gegenüber der anderen Kultur war nicht so leicht und wir mussten erfahren, dass es schwierig ist, auf Augenhöhe miteinander zu arbeiten.
Aber das Annehmen der Herausforderungen hat zu einem persönlichen Gewinn in jederlei Hinsicht geführt: Dass man nun offener dafür sei, sich auf neue Erfahrungen einzulassen; dass man sich selbst von einer neuen Seite kennen gelernt hat; dass man einen kritischeren Blick auf Entwicklungsarbeit und mehr Wertschätzung für die eigenen Lebensstandards entwickelt habe; und dass man ein neues Land, deren Kultur und Leute kennengelernt habe, sagten die deutschen Teilnehmenden. Fazit: es hat sich gelohnt!
Facts über Xavéri Rwanda
- Der Verband ist ebenfalls Mitglied der Fimcap, unserem internationaler Dachverband und war 2015 Gastgeber des Fimcap Worldcamp, das alle 3 Jahre stattfindet.
- Mit ca. 27.000 Mitglieder hat der Verband in ganz Ruanda, das flächenmäßig ungefähr Rheinland-Pfalz entspricht, ungefähr zehn mal so viele Mitglieder wie die KjG im Bistum Mainz.
- Die Schwerpunkte von Xavéri sind Spiritualität, Gemeinschaft und soziales Engagement. Es gibt Xavéri-Gruppen in den Kirchengemeinden aber auch in Schulen, die lokal agieren, aber auch manchmal in überregionalen Aktionen zusammenarbeiten.
- Die auf dem Foto rechts sichtbare Fahne ist Xavéris Banner. Je nach dem Alter der Xavéris tragen sie unterschiedlich farbene Halstücher.
- Xavéri ist auch in den Nachbarländern Ruandas aktiv, z.B. im Burundi und Uganda.

Berichte & Infos zur IJB
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Jugendbegegnung mit Ruanda (Matthias Göbel, 16.05.2018)
Die meisten verbinden mit der KjG wahrscheinlich die üblichen Klassiker: Gruppenstunden, Ausflüge und gemeinsame Freizeitaktivitäten. Darüber hinaus natürlich die jährlichen Ferienfreizeiten und Zeltlager, die oftmals den Höhepunkt eines KjG-Jahres bilden. Jugendgottesdienste, Aktivitäten in der Kirchengemeinde und Sozialaktionen runden das Bild der typischen KjG Ortsgruppe ab. Aber es gibt noch mehr: Immer wieder finden sich neue Ideen und Möglichkeiten wie innerhalb der KjG alte Konzepte hinterfragt werden und Raum für Neues entsteht. Als einen solchen Innovationsprozess kann man auch die aktuelle internationale Arbeit der KjG im Diözesanverband Mainz sehen, die vor ungefähr 1,5 Jahren gestartet wurde.
Solidarische Gesellschaft und internationale Jugendarbeit
Soziale Verantwortung und das Engagement für eine solidarische Gesellschaft sind feste Bestandteile der Grundlagen und Ziele der KjG. Dabei geht es nicht nur um den unmittelbaren Erfahrungsraum der Kinder und Jugendlichen, sondern auch um politische Interessenvertretung und weltweite Verantwortung. Dem Beispiel des KjG Bundesverbands folgend trägt der Diözesanverband Mainz seit 2012 jedes Jahr mit 0,7% seiner Einnahmen zu wechselnden Projekten in der Entwicklungszusammenarbeit bei (häufig für Schulen). Aber sich deswegen gleich mit einem Schwerpunkt auf internationaler Jugendarbeit zu rühmen, wäre dann doch eine gehörige Selbstüberschätzung. Da geht noch mehr: Zuerst wurden Informationen gesammelt und Möglichkeiten ausgelotet. Was wollen wir genau? Wie können wir das erreichen? Und welche zeitlichen Möglichkeiten haben wir? Am Ende war die Idee einer internationalen Jugendbegegnung geboren. Mit Unterstützung unseres internationalen Dachverband FIMCAP fanden sich mehrere mögliche Partnergruppen und manchmal auch Kontaktdaten zu Ansprechpersonen. Die Finanzierungsfrage wurde mit den Zuschussmöglichkeiten von Engagement Global im Auftrag für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ ) zumindest größtenteils beantwortet, sodass die Diözesankonferenz 2017 guten Gewissens dem Vorschlag des Diözesanausschusses zur Durchführung der internationalen Jugendbegegnung zustimmen konnten.
Zusammenarbeit mit der Partnerorganisation in Ruanda
Aktuell liegt somit bereits etwas mehr als ein Jahr der Vorbereitung hinter uns. Mit Xavéri Ruanda haben wir eine Partnerorganisation gefunden. Auch wenn erste Kontakte über den halben Globus schwierig waren (solange nämlich, bis wir verstanden hatten, dass E-Mails kein und What’s App ein sehr gutes Kommunikationsmittel ist) und mit Sicherheit auch das eine oder andere Missverständnis entstanden ist, ist die meiste Kommunikation bisher gut verlaufen! Für die Jugendbegegnung haben wir uns dazu entschieden, zunächst im August 2018 mit einer Gruppe von 10 KjGler*innen Ruanda zu besuchen, der Rückbesuch aus Ruanda erfolgt dann im Frühjahr 2019. Ideen zum Programm der Jugendbegegnung wurden gesammelt, Förderanträge wurden ausgearbeitet und die teilnehmenden KjGler*innen ausgewählt.
Thematisch haben wir uns dazu entschieden den Begriff der Bildung ins Zentrum zu stellen. Dabei soll es sowohl um die formale, schulische als auch um die non-formale, verbandliche Bildungsarbeit gehen. Wir sind gespannt darauf zu erfahren, inwiefern sich Jugendverbandsarbeit auch in Ruanda als außerschulischer Bildungsort versteht und was wir voneinander lernen können. Für die KjG erhoffen wir uns neue Eindrücke und Kontakte und für unsere Teilnehmenden viele spannende Erfahrungen.
Es wurde immer konkreter, längere What’s App Nachrichten und eingescannte Unterschriften wanderten zwischen der KjG und Xavéri hin und her. Bis die Rede davon war, einen Vorbesuch in Kigali, Ruandas Hauptstadt, zu machen und Näheres vor Ort abzusprechen.
Das Problem mit der Augenhöhe (Clara Löw, 21.05.2018)
„Für eine Woche zur Vorbereitung eines Zwei-Wochen-Austauschs nach Ruanda fliegen? Das was man in dieser Zeit besprechen kann, geht auch per Skype. Dass man das Land kennen gelernt hätte, kann man nach 7 Tagen eh nicht behaupten. Für eine Woche 2x 10h fliegen belastet mein Umwelt-Herz. Wir schaffen das auch so!“
„Wenn wir wirklich das Programm unserer Internationalen Jugendbegegnung (IJB) mit Xavéri (unserer Partnergruppe) auf Augenhöhe gestalten wollen, müssen wir hinfliegen und uns face-to-face unterhalten.“
„Na gut, wir fliegen!“ Jomin, Matthias und Clara waren für die KjG Mainz in der Karwoche zu Gast bei Xavéri, der ruandischen Partnergruppe.
März 2018, Frankfurter Flughafen. Matthias hatte den Ruanda Reiseführer eingepackt, Clara wenigstens alle bisher relevanten Dokumente (leider alle auf Deutsch) ausgedruckt und Jomin die Erfahrung aus zwei außerhalb der KjG organisierten Jugendbegegnungen im Gepäck. Vorbereitet fühlten wir uns damit nicht. Die Umsteigezeit am Brüsseler Flughafen wurde genutzt, um Erwartungen für die anstehende Woche zu sammeln und einen kleinen Strategieplan zu erstellen, was wann mit wem vor Ort zu besprechen sei, damit wir nichts vergessen. Und dann kam doch alles anders. Oberstes Ziel: Mit dem Gefühl nach Hause fliegen, dass beide Organisationen die IJB als ein gemeinsames Projekt sehen, in das sich jede Gruppe mit ihren Vorstellungen einbringen kann. Eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe also.
Vor Ort in Ruanda
Tag eins: Gottesdienst und Stadterkundung. Tag zwei: Treffen mit dem National Committee. Richtig gehört, die Bundesleitung von Xavéri. Am Abend vorher fanden wir es dann doch schlau, etwas schriftlich vorzubereiten, um uns selbst eine Grundlage zu geben, an den der wir uns am nächsten Tag entlang hangeln könnten. Nach der Vorstellungsrunde, dem gegenseitigen Vorstellen der Verbände und unserem kleinen Vortrag über die bereits feststehenden Rahmenbedingungen der Internationalen Jugendbegegnung kam sehr schnell die Frage unserer Partnergruppe, ob wir denn die Vorlage für ein Agreement dabei hätten, einen Partnerschaftsvertrag. Ähm, … Hatten wir nicht. Zur Vorlage beim Bistum, bei den nationalen Behörden usw., erklärten sie uns. Und ich dachte, wir Deutschen seien so wahnsinnig bürokratisch. Der Partnerschaftsvertrag wurde spontan auf dem mitgebrachten Laptop erstellt.
In den beiden darauffolgenden Tagen, wo wir uns jeweils für ein paar Stunden trafen, ging es um das Programm während der Hinbegegnung in Ruanda, um Finanzen und Visa. Die beiden Student*innen Cynthia und Alain wurden uns als leader der Jugendbegegnung auf ruandischer Seite vorgestellt. Was heißt eigentlich Projektleitung auf Englisch? Leader? (klingt irgendwie nach Führer) Haben beide Gruppen das gleiche Verständnis dieser Rolle? Gibt es in der Jugendarbeit von Xavéri sowas wie Teamer*innen und gleichaltrige Gruppenleiter*innen? Bisher hatten wir nur dir Mitglieder des National Committee, alle zwischen 30 und 40 Jahren alt, kennen gelernt. Wir äußerten den Wunsch, dass das Programm der Begegnung innerhalb der Projektleitung besprochen werden würde. In der Abschluss- und Reflexionsrunde vor unserer Abreise aus Ruanda fiel das erlösende Wort: „Peer education – klar gibt’s das bei Xavéri!“ Also doch gleichaltrige Teamer*innen?! Clara und Lea von der KjG und Cynthia und Alain von Xavéri werden als gemeinsame Projektleitung der ersten gemeinsamen IJB hoffentlich einen Weg finden, wie das mit der Augenhöhe möglich werden kann.
Kritische Fragen
Auf dem Wochenplan, den wir von Sister Marie Thérèse (der secretaire permanente von Xavéri, sozusagen der Referentin) kurz vor dem Abflug aus Deutschland geschickt bekommen hatten, standen neben den Arbeitstreffen noch „Besuch einer Xavéri-Unigruppe“, „Besuch einer Xavéri-SchulAG“, Genozid-Museum und community work. Also doch ein bisschen Land und Leute kennen lernen! In der Uni saßen mehr als 50 Studis vor uns, viele neugierig und interessiert, als sie feststellten, Teil der ruandischen Reisegruppe werden zu können. Wie die Teilnehmenden von Xavéri ausgewählt werden, wissen wir nicht genau. Nur darauf, dass sie Englisch sprechen können müssen und zwischen 18 und 30 Jahre alt sein werden, darauf haben wir uns geeinigt. Aus der Fragerunde in der Uni: „Warum gerade Ruanda?“, „Mit welchem Ziel wollt ihr die Begegnung durchführen?“, „Warum sollten wir mitmachen?“ und „Was ist der Unterschied der KjG gegenüber anderen katholischen Jugendorganisationen?“ … mit solchen Fragen sahen wir uns plötzlich konfrontiert, gar nicht so einfach, alles zufriedenstellend zu beantworten. Unsere Diözesankonferenz hatte das Projekt ohne groß hinterfragen einfach „durchgewunken“…
“Reiches” Europa – “armes” Afrika?
Der Wunsch ist groß, ein gemeinsames Projekt auf die Beine zu stellen und nicht als „reiche Europäer*innen“ mit dem Geld „von unserem Ministerium“ „ins arme Afrika“ zu kommen und unreflektierte Bedingungen an eine vermeintlich gemeinsame Sache zu stellen. Während wir bei unserer Austauschgruppe auf das Bild von deutschen jungen Erwachsenen vielleicht einen Einfluss haben werden, ist es wohl nicht zu ändern (und auch gut so, denn nur so kann sie stattfinden), dass unsere Begegnung mit Mitteln des deutschen Staates finanziert wird. Ob wir das mit der Augenhöhe schaffen?
Bei aller Arbeit, die die Vorbereitung gemacht hat und macht und bei all den Hürden, die es schon gab und noch geben wird, hoffen wir, die Teilnehmenden mit der Begeisterung aus dem ruandisch-deutschen Leitungsteam anstecken zu können.
(Philipp Hiß, deutscher Teilnehmer der IJB)
Den Nährbodendes Genozid bildete die durch die deutschen und belgischen Kolonialherrschaft nach Ruanda importierte europäische Rassenideologie, die in den Tutsi eine der Europäischen verwandte Ethnie sah, während die Hutus eine von Natur aus niedere Rasse bildeten und sich deswegen schon vor der Kolonialisierung durch die Europäer der zahlenmäßig kleineren Ethnie der Tutsi untergeordnet hätten. Die Hutus nahmen nach der Unabhängigkeit 1961 Rache an der jahrzehntelangen Bevormundung der Tutsi unter der Kolonialherrschaft. Die Tutsi wurden systematisch diskriminiert, verfolgt und viele flohen in die Nachbarländer. Dieser Konflikt spitzte sich immer weiter zu, die im Ausland gebildete Rebellengruppe (RPF) der Tutsi kämpfte mit Frontalangriffen gegen die Hutu-Regierung. Am 7.April 1994 wurde das Flugzeug des damaligen gemäßigten Hutu-Präsidenten Habyarimana von bis heute Unbekannten abgeschossen. Daraufhin kam es zu einem von langer Hand geplantem Massenmord an den Tutsi und gemäßigten Hutus, der deren völlige Ausrottung als Ziel hatte. Die in Ruanda stationierte UN Friedenstruppe „UNAMIR“ hatte kein robustes Mandat, um die Gräueltaten zu verhindern, obwohl ein Informant aus der Hutu-Regierung den UNAMIR-Kommandant vor dem geplanten Genozid im Januar 1994 gewarnt hatte und im Austausch zu seiner Protektion, die Orteder Waffenlager verraten hätte. Doch die UN-Mitgliedsstaaten verschwiegen die Tatsache eines möglichen Genozids, denn eine größere militärische Beteiligung an der Friedensmission wollte keine Regierung eingehen, bei der USA vor allem wegen 18 getöteter US-Soldaten im Rahmen einer UN-Friedensmission in Somalia ein Jahr zuvor. Im Juni 1994 griffen die Franzosen mit einem umstrittenen Einsatz ein, bei dem zwar Menschenleben gerettet wurden, aber auch viele Täter außer Landes fliehen konnten und bis heute nicht zur Rechenschaft gezogen werden konnten. Erst der menschrechtsfragwürdige Angriffder Befreiungsarmee(RPF) aus dem Nachbarland Uganda von April bis Juli1994unter dem Kommando des heutigen Präsidenten Paul Kagame konnte das Morden der Hutus beenden. Die UN und alle ihre Mitgliedsstaaten müssen sich ein Totalversagen vorwerfen lassen, denn nach der UN-Völkermordskonvention muss bei einem Genozid (militärisch)eingeschritten werden, doch das Wort Genozid wurde bei allen entscheidenden UN-Sicherheitsratssitzungen vermieden. Frankreich muss sich vorwerfen lassen, dass es kurz vor dem Genozid das für die Gräueltaten federführende Hutu-Militär mit Waffen und militärischer Ausbildung unterstützt hatte. Versöhnung und Erreichung des utopischen Friedens Zur Erreichung eines allumfassenden Friedens wurde uns eine 5-stufige Skala an die Hand gegeben,von der Mindestforderung „kein Krieg“ bis zur 5. Stufe „persönlichen und zwischenmenschlichen Frieden, Gesundheit und Gerechtigkeit (jüdisch „shalom“) ist es für jedes Individuum sowie jede Nation ein beschwerlicher Weg. Auch Deutschland ist noch weit davon entfernt, die 5. Stufe des allumfassenden Friedens zu erreichen. Die Ruander wurden von dem Vortragenden kritisch ausgefragt, inwieweit die Opfer-und Täterfamilien sowie die nachfolgende Generation heutzutage miteinander arbeiten (Erreichung der 2. Stufe) und wie sich freundschaftliche Beziehungen untereinander gebildet haben (3. Stufe). Hochzeiten zwischen Opfer-und Tätergruppen wurde erst ca. ein Jahrzehnt nach dem Genozid wieder geschlossen und sind heutzutage weitestgehend gesellschaftlich akzeptiert. Dieser über mehrere Jahrzehnte und Generationen verlaufende Versöhnungsprozess (Stufe 4. „Psychologischer Frieden“) gibt Frère Bernardin uns, der Jugend beider Länder, als Auftrag: Nicht nur die schwierige Aufgabe, Versöhnung nach dem Genozid innerhalb Ruandas zu erreichen und die ruandische Nationalidentität wiederherzustellen, sondern auch bei jedem kleineren Konflikt im alltäglichen Leben Versöhnung zu suchen und nicht davor wegzulaufen. Überraschend für die deutsche sowie ruandische Gruppe waren die Größenverhältnisse nach dem Völkermord: Von 7 Mio.Ruandern vor dem Genozid wurden 1 Mio. (vor allem Tutsi) umgebracht, 2. Mio. Menschen wurden vertrieben und 130.000 Angeklagte saßen im Gefängnis, nur 3,8 Mio Ruander waren nach dem Genozid noch frei und lebten in Ruanda. Durch das hohe Bevölkerungswachstum und Rückkehr der Vertriebenen liegt die Bevölkerungsanzahl 2018bei ca. 13 Mio. Einwohnern. Somit sind 40% der heutigen Bevölkerung Ruandas unter 15 Jahre alt. Frère Bernardin sieht vor allem bei den Jugendlichen die Chance zur Versöhnung und zur Fortführung der Utopie einer allumfassenden friedlichen Gesellschaft. Als politische Konsequenz war der ruandischen Gruppe die Einsetzung eines politischen Mechanismus wichtig, der künftige Genozide verhindern soll, außerdem forderte Frère Bernardineine kritische Geschichtsbildung künftiger Generationen zum Genozid, die von der Elterngeneration zu der nach dem Genozid geborenen Generation übertragenden Traumata verhindern soll. Die deutsche Gruppe dankte für die Offenheit der ruandischen TeilnehmerInnen, und schlug, im Hinblick auf die deutsche Geschichte und seinen Umgang mit dem Holocaust, regionale sowie internationale Vernetzung Ruandas als Vermeidungsinstrument eines weiteren Genozids vor. Über Versöhnung zu reden sei sehr wichtig, die direkte Übersetzung des englischen Worts („Reconciliation“) in Kinyaruanda (annähernd: „ubwiyunge“) gestaltete sich als schwierig, ein Zeichen für Frère Bernardin, dass das noch nicht genug getan wird.Den bewegenden, diskussionsträchtigen Tag haben wir gemeinsam bei einem, in Ruanda eher unüblichen Lagerfeuer mit Liedern wie Wonderwall und weiteren Klassikern ausklingen lassen.
mehr unter: https://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54803/ruanda
„Wer als junger Mensch keine Utopien hat, der ist bereits alt.“ (Frère Bernadin)
Diskussion zu Frieden und Gerechtigkeit (Tag 11 der Internationalen Jugendbegegnung der KjG Mainz und Xavéri Rwanda 2018/19)
Im Anschluss an den bewegenden Besuch des Gedenkzentrums zu dem 1994 für mehrere Monate grausamen verübten Genozid an den Tutsi und oppositionellen Hutus, trafen wir uns mit Frère Bernardin, der auch für die UNESCO Vorträge hält, zu einer intensiven 3-stündigen Diskussion zur gegenseitigen Klärung der Begriffe Frieden, Gerechtigkeit und Versöhnung. Unterschiedliche Begriffsverständnisse in beiden Gruppen führten zu spannenden Erkenntnissen: Bei den Ruandern wurde unter dem Friedensbegriff (in Kinyaruanda: „amahoro“) Sicherheit verstanden, während die deutsche Gruppe Diskriminierungsfreiheit als wichtigste Bedeutung auf der sozialen Ebene sah. Auf individueller Ebene wird von den Ruandern eher nach innerer Gelassenheit (englisch „tranquility“) und nach Zufriedenheit von den Deutschen geschaut. Gerechtigkeit (kinyaruanda: „ubutabera“) wurde von deutschen TeilnehmerInnen mit gleichen Rechten, Mitbestimmung und Chancengleichheit gleichgesetzt. Ruandische TeilnehmerInnen sahen auch gleiche Rechte, darüber hinaus Korruptionsbekämpfung und Gleichbehandlung für jeden Menschen als wichtig an. Theoretische Gerechtigkeitskonzepte sehen Verteilungs-, Vergeltungs-, und ausgleichende Gerechtigkeit (Englisch:„distributive, retributive and restorative justice“) vor. Beispielsweise wurden in Ruanda nach dem Genozid Gacacas (Kinyaruanda für „Wiese/Rasen“, traditionelle Laiengerichtsprozess) praktiziert, um die mit mehr als 100.000 Menschen gefüllten Gefängnisse nach dem Genozid zu entlasten und außerdem ausgleichende Gerechtigkeit den Opfern des Genozids zukommen zu lassen. Denn bei den dörflichen Gerichtsprozessen mussten die Täter im Gegenzug zur Reduzierung ihrer Haftstrafe oder Umwandlung in Sozialarbeit echte Reue zeigen und den Opferfamilien sagen, wo sie Überreste ihrer ermordeten Angehörigen finden können. Oft gab es keine Angabe über den Verbleib vieler Ermordeten, sodass es immer noch die winzige Hoffnung gab, dass sie vielleicht noch leben. So ermöglichten die Gacacas, anders als eine reine Haftstrafe oder eine Amnestie, den sozialen Frieden innerhalb der ruandischen Gesellschaft wiederherzustellen.
Das Projekt wurde gefördert und unterstützt durch Engagement Global GmbH im Auftrag des Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), dem Katholischen Fonds, der Stiftung Jugendraum, dem Ministerium des Inneren und für Sport in RLP/Ruandareferat, dem Partnerschaftsverein RLP und dem Kreis der Freunde und Förderer der KjG Mainz e.V..
(*) Recall Reisebericht Ruanda oder Warum Verallgemeinerungen Vorurteile bestärken – Im letzten UWe erschien der Reisebericht unserer Internationalen Jugendbegegnung, die 10 KjGler*innen aus dem Bistum Mainz nach Ruanda führte. Der Artikel, den wir inhaltlich allen ans Herz legen, erschien damals unter der Überschrift „Intensive Eindrücke in das afrikanische Leben“. Afrika ist ein Kontinent mit mehr als 50 Staaten, Ruanda, das Gastland unserer Jugendbegegnung, ist eins davon. Es liegt umgeben von Uganda, Tansania, Burundi und dem Kongo knapp südlich des Äquators und hat die ungefähre Größe von Rheinland-Pfalz, die außer der ähnlichen Flächenausdehnung eine enge Partnerschaft verbindet. Auch wenn die politische Situation in einigen afrikanischen Ländern (auch durch die weitreichenden Folgen der europäischen Kolonialpolitik?!) schwierig ist, ist der Genozid in Ruanda ein tragisches und unfassbares, aber zum Glück einzigartiges Stück Geschichte auf dem afrikanischen Kontinent. Einzigartig sind auch unsere Erfahrungen, die uns Einblick in das Leben in Ruanda gegeben haben. Doch dass wir „Afrika“ erlebt hätten, das möchten wir abstreiten. Mit diesem Recall möchten wir dafür plädieren, sich Gedanken über Verallgemeinerungen von Worten wie „afrikanisches Leben“ zu machen und in den Reihen des BDKJ anregen in Zukunft Beiträge dieser Art unter präziseren Überschriften zu veröffentlichen. Wer sich weiter dafür interessiert: https://granta.com/how-to-write-about-africa/ (Stellungnahme von Lea Franz und Clara Löw – Projektleitung der IJB, 08.10.2018)